(Der aller-, aller-nördlichste.)
Auf unseren Reisen bisher waren wir in allen Himmelsrichtungen unterwegs: Immer westwärts ging es einmal um die Welt. Der nördlichste Punkt, den wir bisher gesehen hatten, war das Nordkap – der nördlichste Punkt auf dem europäischen Festland also.
Diesmal, bei einer dreiwöchigen Reise, hatten wir uns vorgenommen, den hohen Norden noch ein wenig besser kennenzulernen: Über Schottland und Island führte uns unsere Route nach Norwegen und bis nach Spitzbergen, der nördlichsten Insel Europas. Ob wir unser Ziel erreicht haben und was wir auf dem Weg dorthin erlebt haben, lest Ihr hier.
Aufbruch nach Norden: Von Würzburg nach Lübeck
Der erste Schritt unserer Reise führte uns auf dem direkten Weg an die deutsche Küste: Von Würzburg aus fuhren wir nach Lübeck, wo wir drei Tage verbrachten. Wer die Stadt mit der langen Geschichte noch nicht kennt, sollte unbedingt mal einen Kurztrip dorthin einplanen – uns hat die Hansestadt mit ihrer Mischung aus uralten Backsteinhäusern und sympathisch-norddeutscher Schnoddrigkeit sehr gut gefallen. Die Innenstadt Lübecks ist kompakt und gut zu Fuß zu erkunden. Die uralten Häuser, teils aus dem 16. Jahrhundert und inzwischen dank des sandigen Bodens schief und krumm, säumen quirlige Straßen, auf denen Einheimische und Touristen sich gleichermaßen in die kleinen Läden und Cafés treiben lassen.
Da Lübeck sich in seiner Kompaktheit gut in einem Tag erkunden ließ, machten wir noch einen kleinen Abstecher nach Travemünde, wo das Wetter es nicht ganz so gut mit uns meinte und uns schon die erste steife Meeresbrise ins Gesicht blies.
Ahoi: Von Kiel nach Schottland
Weiter ging unsere Entdeckungstour von Kiel aus. Wir stiegen auf das Schiff AIDAluna, um von dort über die Ost- und Nordsee Richtung Norden weiter zu fahren. Unser erster Zwischenstopp befand sich auf den zu Schottland gehörigen Orkney-Inseln. In Kirkwall gingen wir von Bord, um die grüne Insel zu erkunden.
Die Orkney-Inseln sind kleine, verschlafene, grüne Flecken im Atlantik. Geprägt vom rauhen Klima und der jahrhundertelangen Tradition der Schafzucht, hat sich das Leben dort augenscheinlich seit dem Mittelalter nur wenig verändert. Sollte unter Euch jemand sein, der mal ein paar Wochen komplett abtauchen und keinen Menschen sehen will: Die Orkney-Inseln bieten sich da an ;).
Island im Sonnenschein
Nach einem Tag auf See kamen wir da an, wo wir vor anderthalb Jahren unsere Weltreise gestartet hatten: Island empfing uns mit dem herrlichsten Sonnenschein. Für uns bringt Island immer ein besonderes Gefühl mit sich; lag das Land doch vor sieben Jahren auf der Route unserer Hochzeitsreise und stellte mit dem Start unserer Weltreise 2017 einen ganz emotionalen Punkt dar. Diesmal fühlte es sich ein bisschen an wie „nach Hause kommen“, als wir in Reykjavík ankamen und die wohl bekannten Straßen entlang schlenderten.
Drei Tage verbrachten wir auf der Insel und lernten mit Ísafjörður noch eine Ecke im Norden des Landes kennen, die uns bisher unbekannt war.
Zusammen mit unserem einheimischen Guide fuhren wir in die umliegenden Berge, auf denen noch Schnee lag, und ließen uns von ihm die Pflanzen- und Tierwelt der Westfjorde Islands erklären. Als er erwähnte, dass das Wasser im Sommer „angenehme“ Höchsttemperaturen von 12°C hätte und man dann gut darin schwimmen könnte, waren wir doch ganz froh, keinen Badeurlaub dort geplant zu haben ;).
Mit einem Besuch des Goðafoss und der Schwefelquellen in der Nähe von Akureyri schlossen wir unseren kurzen Halt in Island ab – mit neuen Eindrücken und dem typischen Schwefelgeruch in der Nase.
Ab in die Kälte: Der ganz hohe Norden
Nachdem wir Island verlassen hatten, steuerte unser Schiff Richtung Norden auf den Höhepunkt unserer Reise zu: Spitzbergen lag vor uns. Da wir inzwischen den Polarkreis überquert hatten, sanken die Temperaturen auf 0°C und die Sonne ging nicht mehr unter.
Spitzbergen ist der nördlichste Punkt Europas, den man als normaler Reisender erreichen kann – weiter in den Norden sollte man sich nur noch mit entsprechender Ausrüstung begeben. Hier leben mehr Eisbären als Menschen. Der Boden der Insel besteht aus Permafrost; er taut also unter normalen Voraussetzungen niemals auf. Das sorgt nicht nur dafür, dass es auf Spitzbergen ganzjährig kalt ist, sondern schafft auch Umstände, an die sich die Menschen erst mal anpassen müssen. So darf man auf Spitzbergen beispielsweise nicht sterben. Was seltsam klingt, hat einen sinnvollen Hintergrund: Der Permafrost-Boden lässt keine Erdbestattungen zu. Nur in seltenen Fällen gibt es deshalb mit Ausnahmegenehmigung Urnenbestattungen. Alte und sehr kranke Menschen werden mit dem Flugzeug auf das norwegische Festland gebracht, das selbe gilt für Schwangere im 8. Monat. Nach der Geburt dürfen Mutter und Kind dann wieder zurück auf die Insel.
Aus diesem Grund findet man auf Spitzbergen eigentlich nur Durchreisende: Viele der Einwohner kommen aus den verschiedensten Gründen auf das kalte Eiland, um sich einige Monate oder Jahre dort niederzulassen. Manche forschen am ewigen Eis, andere wollen Geld verdienen, um sich anschließend in ihrer Heimat zum Beispiel ein Haus bauen zu können. Insgesamt ist die Bevölkerung Spitzbergens daher jung und international.
Wer sich dort niederlässt, muss übrigens nicht nur mit dem kalten Klima zurecht kommen: Im Winter geht fünf Monate lang die Sonne nicht auf. Dass der Tag im März, an dem die ersten Sonnenstrahlen wieder den Boden Spitzbergens berühren, jedes Jahr mit einem großen Fest gefeiert wird, ist für uns absolut nachvollziehbar.
Spitzbergen ist, wenn man es ehrlich betrachtet, keine schöne Insel. Abgesehen von den bunt angestrichenen Häusern sieht man keine Farben – der weiße Schnee mischt sich mit den dreckigen Kohlespuren (kleine Mengen Kohle werden hier noch abgebaut) und dem dunklen Geröll der Berge. Trotzdem hat der Fleck Erde eine gewisse Faszination, denn er ist definitiv einzigartig. Für uns käme ein Leben dort oben im allerhöchsten Norden nicht in Frage, schon wegen des fehlenden Lichts im Winter. Doch beeindruckend ist es schon, dass sich Menschen für ein Leben hier entscheiden.
Nördliche Superlative
Nachdem wir Spitzbergen hinter uns gelassen haben, näherten wir uns ganz langsam wieder den etwas südlicheren Gefilden – dem Festland Norwegens. Wir machten Halt in Honnigsvag – der Ort, von dem aus die meisten Touren zum Nordkap losgehen. Eigentlich ist es die nördlichste Stadt Festland-Norwegens, doch dank eines Abkommens mit Hammerfest vermarktet Honnigsvag dieses Statement nicht. Hammerfest seinerseits, das wir am nächsten Tag besuchten, darf deshalb weiterhin damit werben, die nördlichste Stadt Europas zu sein.
Wir durften diese Stadt im schönsten Sonnenschein erleben und hatten dank des guten Wetters vom Hausberg aus einen tollen Ausblick über das kompakte Stadtzentrum und die sie umgebende Bucht. Im Hafenbecken entdeckten wir nach kurzer Zeit einen weißen Schimmer im Wasser, der sich später als junger Beluga-Wal herausstellte. Wie wir später erfuhren, hat sich dieser Wal das Hafenbecken von Hammerfest als festen Wohnsitz ausgesucht; er wird inzwischen von den Anwohnern als Teil der Gemeinschaft betrachtet und ist dank großzügiger Fütterung inzwischen sogar zahm geworden. Die Hammerfester spekulieren zwar, ob der Wal nicht vielleicht ein russischer Spion sei. An seiner Beliebtheit ändert das aber nichts.
Auch andere Tiere spielen in Hammerfest eine wichtige Rolle: Die Eisbären. Obwohl schon lange keine Eisbär-Jagden mehr veranstaltet werden, ist in Hammerfest, dem ehemaligen Ausgangspunkt solcher Jagden, noch heute der Eisbären-Club beheimatet. In diesem Club können heutzutage auch Touristen gegen eine Aufnahmegebühr Mitglied werden, allerdings nur, wenn sie tatsächlich persönlich vor Ort erscheinen. An dieser Hürde ist Elvis Presley schon gescheitert; er wollte die Reise in das entlegene Städtchen nicht auf sich nehmen.
Von Hammerfest aus fuhren wir weiter in eine weitere Superlativ-Stadt Norwegens: Tromsø nennt sich „nördlichste Großstadt“ Europas. „Großstadt“ ist hier allerdings in einem anderen Sinn zu betrachten als bei uns üblich – es geht um die flächenmäßig größte Stadt Nord-Norwegens. Der Stadtkern Tromsøs ist tatsächlich sehr kompakt und leicht zu Fuß zu erkunden. Leider machte uns das Wetter in Tromsø einen Strich durch die Rechnung: Bei Temperaturen nah am Gefrierpunkt, Nieselregen und starkem Wind kämpften wir uns zwar über die lange Hängebrücke zur Eismeerkathedrale durch, doch dann mussten wir den Rückzug antreten. Leider fingen wir uns dabei beide eine Erkältung ein, die uns noch bis zum Ende unserer Nordland-Reise begleite sollte.
Wunderschöne Landschaften im Fischaroma
Das letzte Drittel unserer Reise führte uns in die Lofoten, einer Inselgruppe an der Norwegischen Küste, die mit ihren Fjordlandschaften und den kleinen, roten Häuschen wie direkt aus einem Skandinavien-Roman wirkt. Das Idyll wird einzig von dem durchdringenden Geruch nach Stockfisch ein wenig getrübt, der sich, ausgehend von den großen Gestellen, an denen der Fisch zum Trocknen aufgehängt wird, unnachgiebig in alle Richtungen ausbreitet. Die Stockfisch-Produktion auf den Lofoten folgt einer Jahrhunderte alten Tradition – und obwohl laut Bekunden unseres Reiseführers heute kaum noch ein Lofote ernsthaft Stockfisch für den Eigenverzehr herstellt, wird die Tradition noch mit großem Engagement fortgesetzt. Was dann mit dem Stockfisch passiert? „Das Geld hängt vor den Fenstern“ sagen die Einheimischen und verkaufen die traditions- und geruchreiche Speise an die Touristen.
Bei unserem Abstecher in die Lofoten lernten wir die einfache, naturbezogene Lebensart der Inselbewohner kennen. Obwohl der Tourismus wirtschaftlich auch hier immer mehr an Bedeutung gewinnt, spielt auch der Fischfang und die Fischverarbeitung immer noch eine große Rolle. Die Lachszucht und der Export von Wildlachs ist eine bedeutende Einnahmequelle, auf die sich die Wirtschaft der Region stützt.
Das Ende der Reise
Ein letzter Stopp in Bergen bildete das Ende unseres Norwegen-Aufenthalts und gleichzeitig das Ende unserer Nordland-Reise. Wie schon Reykjavík ist uns auch Bergen wohl bekannt, deshalb spazierten wir hier nur ein wenig durch die Innenstadt und das traditionsreiche Hanseviertel Bryggen, um uns die vergangenen zweieinhalb Wochen noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.
Der nördlichste Norden Europas – eine Reise wert?
Während in Deutschland in den letzten Wochen der Sommer mit voller Kraft ausgebrochen ist und die Temperaturen über die 30-Grad-Marke stiegen, verbrachten wir unsere Tage dick in unsere Winterjacken eingepackt auf schneebedeckten Bergen und mit dem eisigen Wind im Gesicht. Klingt das verlockend? Nein? Ist es aber: Denn so ist er einfach, der nördlichste Norden Europas. Und nur wer einmal erfahren hat, wie der „Sommer“ auf Island, in (Festland-)Norwegen oder auf Spitzbergen sich anfühlt, kann nachvollziehen, aus welchem Holz die Einwohner dieser Länder geschnitzt sein müssen, um den langen und harten Winter unbeschadet zu überstehen. Pragmatisch und herzlich heißen sie die Besucher willkommen und schmunzeln nur, wenn wir unsere Winterjacken enger um uns ziehen, während sie im lockeren Pullover neben uns stehen.
Und noch etwas schwingt für uns beim Besuch der „Wikingerländer“ immer mit: In den teils schroffen, teils wunderschönen, teils verwunschen und fremdartig aussehenden Landschaften der Fjorde, Gletscher und Vulkane fühlt es sich so an, als ob in jedem Moment plötzlich ein Troll aus den Felsspalten kommen könnte oder sich eine Elfe zwischen den Erdhügeln versteckt. Wenn der Kamin auf einem einsamen, roten Häuschen am Fjord raucht und vor dem Fenster Stockfisch aufgereiht ist, dann macht man kurz eine Zeitreise und findet sich in einer Zeit lange vor Internet, Strom und fließend Wasser wieder.
Kurz und gut: Es ist kein Wunder, dass sich besonders im europäischen Norden Naturreligionen, alte Bräuche und Trollgeschichten größter Beliebtheit erfreuen, denn hier kann man den Zauber und die unglaubliche Kraft der Natur mit jedem Atemzug spüren.
Würden wir eine Reise in den nördlichsten Teil Europas empfehlen? Auf jeden Fall! Die dicke Jacke, Handschuhe und eine warme Mütze sollten allerdings zwingend ein Teil des Gepäcks sein, denn auch im Sommer gilt: Das Wetter dort oben ist unberechenbar ;).